IP Insights: Der patentrechtliche Besichtigungsanspruch

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§ 140c PatG gewährt dem Patentinhaber ein Recht auf Urkundenvorlage und auf Besichtigung einer Sache, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung besteht. Hat diese Rechtsverletzung gewerbliches Ausmaß (was lediglich Handlungen im privaten Bereich zu nicht gewerblichen Zwecken ausschließt), erstreckt sich der Vorlageanspruch auch auf Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen. Der Besichtigungsanspruch soll dementsprechend einerseits notwendige Beweise für die Vorbereitung eines Patentverletzungsprozesses sichern, andererseits, aber nicht minder wichtig, möglicherweise nicht gebotene gerichtliche Auseinandersetzungen bereits im Vorfeld verhindern.

Bewältigung von Informationsdefiziten

Grundlegend für den Erfolg oder Misserfolg eines Patentverletzungsstreits ist, dass der Patentinhaber über alle Informationen verfügt, um die Nutzung seiner Erfindung gerichtsfest darlegen und beweisen zu können. Das ist weniger trivial als es zunächst klingt: Patentverletzungen finden nicht selten hinter verschlossenen Türen, in Produktionshallen, Laboren oder Betriebsräumen, statt. Wohl dem, der eines patentverletzenden Gegenstands habhaft werden kann, an dem er die Verletzung des Patents durchexerzieren kann. Doch was, wenn sich ein solcher Gegenstand nicht beschaffen lässt, weil die Erfindung lediglich innerbetrieblich genutzt wird, oder wenn man dem Gegenstand nicht ansieht, ob er von der Lehre des Patents Gebrauch macht, weil es etwa um ein Produktionsverfahren geht? Geradezu notorisch sind Informationsdefizite im Bereich der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen (hierzu Ess, WRP 2020, 988). Hier will das Gesetz mit einem Besichtigungsanspruch (§ 140c PatG) helfen.

Von einem langen Dornröschenschlaf

Der Besichtigungsanspruch hat in Deutschland bereits eine längere Geschichte, blieb allerdings beinah ebenso lange weitgehend Theorie. Bereits in den 1980er Jahren auf Grundlage von §§ 809, 810 BGB anerkannt, lag der Besichtigungsanspruch zunächst wegen (allzu) restriktiver Vorgaben 20 Jahre praktisch brach, bis der Bundesgerichtshof im Jahr 2002 seine Rechtsprechung teilweise liberalisierte (BGH, Urt. v. 02.05.2002 – I ZR 45/01, GRUR 2002, 1046 – Faxkarte). So etwas wie Aufwind brachte allerdings erst die Einführung des § 140c PatG im Jahr 2008, der auf Artt. 7 und 8 der europäischen Enforcement-Richtlinie beruht.

§ 140c PatG und europäische Pendants

§ 140c PatG gibt dem Patentinhaber ein Recht auf Besichtigung eines mutmaßlich patentverletzenden Gegenstands sowie auf Vorlage von beweisrelevanten Dokumenten, einschließlich Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen. Dieser Anspruch wird typischerweise im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt (Stichwort: Überraschungseffekt) und gestattet es dem Patentinhaber, Betriebsräume des vermeintlichen Verletzers durch Gerichtsvollzieher, Sachverständige und Rechts- und Patentanwälte unangekündigt besuchen und inspizieren zu lassen. Der Vorteil besteht darin, dass der Patentinhaber bereits im Vorfeld eines Patentverletzungsstreits die Beweisbarkeit seines Anspruchs prüfen und sichern kann.

Voraussetzung ist allerdings, dass der Patentinhaber das Gericht davon überzeugen kann, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Patentverletzung besteht. Bloße Spekulationen reichen nicht hin, fishing expeditions soll es nicht geben. Vielmehr müssen der zu besichtigende Gegenstand, das Verfahren oder die vorzulegende Urkunde so genau wie möglich bezeichnet und der Ort angegeben werden, an dem sich diese befinden. Es liegt auf der Hand, dass hier ein gewisses Spannungsverhältnis zu dem Zweck der Besichtigung besteht, die Sachverhaltsaufklärung überhaupt erst zu ermöglichen und Beweise für eine Patentverletzung zu sichern. Im Übrigen ist der Anspruch subsidiär und unterliegt einem Verhältnismäßigkeitsvorbehalt: Ist der Patentinhaber zwingend auf gerichtliche Hilfe angewiesen? Ist die Besichtigung zur Begründung von Ansprüchen des Patentinhabers erforderlich?

Vor diesem Hintergrund fällt § 140c PatG was die praktische Relevanz anbelangt, trotz der Fortschritte durch die Enforcement-Richtlinie, Im internationalen Vergleich nach wie vor relativ deutlich zurück. Dazu muss man noch nicht einmal die U.S. Discovery bemühen, die in Kontinentaleuropa vielfach noch immer etwas argwöhnisch beäugt wird. Es reicht bereits ein Blick nach Italien oder Frankreich und Belgien, wo mit der Descrizione bzw. der Saisie Contrefaçon praktisch ungleich bedeutsamere Instrumente der Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen. So steht etwa die Saisie Contrefaçon in Frankreich in etwa 80 % der Fälle am Anfang eines Patentverletzungsstreits. Der Antragssteller muss hier lediglich seine Qualität als Inhaber des Schutzrechts nachweisen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass einem niedrigschwelligen Besichtigungsanspruch auch ein Missbrauchspotential innewohnt. In der Praxis sind solche Fälle allerdings selten.

Fazit

Der Besichtigungsanspruch nach § 140c PatG kann – trotz seiner Restriktion – ein Mittel sein, dem Patentinhaber aus größter Beweisnot zu helfen. Eine (noch) effektivere Sachverhaltsaufklärung wäre freilich wünschenswert, weil sie womöglich langwierige Prozesse abkürzen oder eine frühzeitige einvernehmliche Einigung fördern könnte. Häufig wird es sich daher anbieten, zunächst den Weg über Italien, Frankreich oder die USA zu gehen, und zu versuchen, dortige Erkenntnisse nach Deutschland zu importieren.







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